Faule Kompromisse in der WTO – keine gerechten Lösungen für alle erreicht

Entwicklungsländer die großen Verlierer bei Covid-19, Fischerei, E-Commerce und Landwirtschaft

17. Juni 2022

Nach mehreren Verlängerungen ging heute in den Morgenstunden die 12. Ministerkonferenz (MC12) der Welthandelsorganisation (WTO) zu Ende ohne, dass ein umfassender Lösungsweg für globale Gesundheit in Form des so genannten umfassenden TRIPS Waivers für Impfungen, Medikamente und Diagnostika, bereitet wurde. Auch in Sachen Welternährung wurde nicht viel erreicht, denn selbst die Erklärung zur Ernährungssicherheit erhält keine konkreten Vorschläge, wie Entwicklungsländer unabhängiger von Nahrungsimporten werden. Das zwanzig Jahre alte E-Commerce Moratorium wurde erneut verlängert, es sichert den High-Tech Giganten weiterhin Zollfreiheit für ihre Dienstleistungen. Auch bei den Entscheidungen zum Abbau der Fischereisubventionen wurden die Interessen der Entwicklungsländer nicht angemessen berücksichtigt. Die schwachen Ergebnisse der WTO-Ministerkonferenz zeigen erneut, dass die WTO-Mitglieder nicht in der Lage sind, die Regeln für den globalen Handel gerecht zu gestalten.

„Alle strittigen Themen wie Landwirtschaft, Fischerei, E-Commerce und TRIPS haben Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Aber Klimaschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt tauchten in den Verhandlungen so gut wie gar nicht auf“, kritisiert Jürgen Knirsch, Handelsexperte von Greenpeace Deutschland. „Wenn die WTO noch nicht einmal in der Lage ist, ihr Kerngeschäft zu managen, wie will sie dann bei Themen wie Umweltschutz, Menschenrechten und Kernarbeitsnormen vorankommen?“, fragt Jürgen Knirsch.

„Vor allem für den Bereich globale Gesundheit in Zeiten einer Pandemie ist das Ergebnis besonders ernüchternd“, so Nelly Grotefendt, Referentin für Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung. „Ich hatte sehr gehofft, dass die Länder sich zu einem Präzedenzfall durchringen können, der weitreichend ist. Bei der nächsten Pandemie werden wir immer noch den gleichen Prozess durchlaufen müssen, und das wird viel Zeit kosten. Daher hätten wir jetzt die notwendigen Maßnahmen ergreifen müssen, damit wir im Falle einer weiteren Pandemie mehr Leben retten können. Außerdem werden Medikamente und Diagnostika eine wichtige Rolle bei den nächsten Wellen dieser Pandemie spielen – besonders im Globalen Süden.“

„Im Mittelpunkt der Erklärung zur Ernährungssicherheit steht wieder mal der altbekannte Aufruf zur Vermeidung von Exportrestriktionen“, so Francisco Mari, Agrarhandelsexperte von Brot für die Welt. „Dies ist stetige Ruf der großen Agrarexporteure, wie EU und USA Märkte offen zu halten. Nur kurz wird erwähnt, dass es für Regierungen auch Sinn machen könnte zu verhindern, dass Nahrung von Händlern exportiert wird, um auf dem Weltmarkt große Gewinne zu machen“, so Mari weiter. Indien wurde deswegen schon vor Wochen heftig kritisiert. Kein Wunder also, dass Indien auch diesmal wieder keine feste Regeländerung erreichte, damit alle Entwicklungsländer Programme auflegen können, die Kleinbauer*innen zu Festpreisen ihre Produkte aufkaufen und dann in öffentlichen Armutsprogrammen der bedürftigen Bevölkerung zur Verfügung stellen. Auch alle anderen seit Jahren erhobenen Forderungen der Entwicklungsländer endlich die eigenen Ernährungssysteme handelspolitisch besser durch wirksamen Marktschutz vor Krisen zu schützen, wie sie jetzt die russische Aggression und hohe Energiepreise verursachen. Immerhin werden die Staaten aufgefordert das Welternährungsprogramm zu unterstützen. Gänzlich unerwähnt bleibt ein Aufruf zur Zusammenarbeit mit der Welternährungsorganisation (FAO) und dem Welternährungsrat (CFS). Dies zeigt wie wenig die WTO, Menschenrechte, wie das Recht auf Nahrung zur Grundlage ihrer Entscheidungen macht.

Die WTO hat, um die 12. Ministerkonferenz zu einem Abschluss zu bringen eine Reihe an faulen Kompromissen geschlossen. Daher zieht Jürgen Knirsch das Fazit: „Wir brauchen eine andere multilaterale Struktur für die anstehenden Aufgaben im Handelsbereich.“

Die 13. Ministerkonferenz soll in 9 Monaten stattfinden. Als Konsequenz aus der 11. und 12. Ministerkonferenz sollte vor allem die zivilgesellschaftliche Beteiligung wieder gestärkt werden und im Sinne des Multilateralismus dem Trend der Einzelverhandlungen gegengesteuert werden.

Die AG Handel des Forum Umwelt und Entwicklung ist vor Ort und verfolgt die Verhandlungen.

WTO-Blog: https://www.forumue.de/themen/handel/wto-blog/
Videoblog:https://youtube.com/playlist?list=PL5bEtHu6v0ojADAB9XiPDkydb0j8A1Hwl